IPM 2015: Weg von der Pflanzenzüchtung zum Endverbraucher

von Bernhard Simon

IPM 2015Die IPM als Weltleitmesse des Gartenbaus zeigt die gesamte Wertschöpfungskette der Pflanzenproduktion

Die IPM ESSEN ist der wichtigste Treffpunkt der internationalen grünen Branche. Sie ist die Plattform für die Präsentation neuer Produkte und innovativer Gartenbautechnik. Dutzende Pflanzenzüchtungen werden hier erstmals einem Fachpublikum aus aller Welt vorgestellt, bevor sie zur kommende Saison im Garten-Center zu kaufen sind. Was kaum jemand weiß: Bevor die Pflanze in den Markt eingeführt werden kann, muss sie viele Stationen durchlaufen und eine lange Reise auf sich nehmen.
Wertschöpfungskette einer PflanzeDie beliebte Petunie braucht von der Züchtung bis zum Verkauf sechs bis zehn Jahre  (Grafik: IPM-Essen)

Das sind ihre wichtigsten Stationen:

Züchtung – Kreuzung und Selektion: vier bis fünf Jahre
Es gibt viele Petunienzüchter auf der Welt – erstaunlich viele davon hier in Deutschland. Diese kreuzen und erzeugen zigtausende von Sämlingen, die alle kultiviert und zur Blüte gebracht werden. Es wird rigoros nach den besten Sämlingen selektiert – 99 Prozent von ihnen werden dabei verworfen und landen auf dem Kompost. Nur eine Handvoll der allerbesten Sorten bleibt übrig und wird weiterverfolgt.

Herstellung sauberen Ausgangsmaterials: ein Jahr
Hat man die Auswahl der allerbesten Sämlinge getroffen, kommt Material davon sofort ins Labor. Dort werden winzige Zellklumpen der Sprossspitze unter dem Mikroskop entnommen und unter sterilen Bedingungen im Reagenzglas zum Wachsen gebracht. Daraus entsteht eine Mini-Pflanze, die im Labor erhalten und weitervermehrt werden kann.

Petunien sind Nachtschattengewächse und durchaus anfällig für Virus-, Bakterienkrankheiten und Pilzerkrankungen. Um sicher zu gehen, dass das Material im Labor absolut sauber ist, werden serologische Virustests durchgeführt. Bei Petunien testet man jede Sorte auf 27 verschiedene
Viruskrankheiten. Das getestete Material dient dann als Ausgang für die weitere Prüfung der Sorten und bei Einführung später für den Mutterpflanzenaufbau.

Vervielfältigung und Sortenprüfung: ein bis drei Jahre
Jede potentielle Neuheit wird parallel mit bestehenden Sorten mit bekannten Eigenschaften unter gärtnerischen Bedingungen im Gewächshaus kultiviert. Danach erfolgt eine Prüfung im Freiland unter Verbraucherbedingungen, um die Leistungsfähigkeit und Ausdauer beim Konsumenten zu testen.

Da der Markt für Beet- und Balkonpflanzen inzwischen weltweit vernetzt ist, findet die gärtnerische und Verbraucherprüfung häufig parallel auf verschiedenen Kontinenten statt. Die Prüfung dauert in der Regel zwischen ein bis drei Jahren. Die Ergebnisse werden verglichen und die besten Sorten für die Markteinführung auserkoren.

Bonitur
Nach Abschluss der Sortenprüfungen hat der Züchter auch die Möglichkeit, die neue Sorte amtlich prüfen, registrieren und sortenschutzrechtlich schützen zu lassen – entweder auf Bundesebene beim Bundessortenamt, oder auf europäischer Ebene beim Gemeinschaftlichen Sortenamt in Angers, Frankreich.

Markteinführung und Mutterpflanzenaufbau: acht Monate
Hat man sich für die Einführung einer neuen Petuniensorte entschieden, wird sauberes Material der Sorte aus dem Labor in die Mutterpflanzenbetriebe geschickt. Sie befinden sich in der Regel in südlichen Breiten in Übersee (z.B. Israel, Kenia, Costa Rica, Guatemala oder Mexiko), da dort die Licht- und Klimabedingungen in den Wintermonaten günstiger sind als hierzulande.

Das „Elitematerial“ wird dort weiterkultiviert, vermehrt und als Mutterpflanze aufgebaut. Jede Woche schneidet man Stecklinge von den Pflanzen und verwirft sie, damit man zu den Zeiten des Spitzenbedarfs (Januar bis März) eine möglichst hohe Zahl an Stecklingen ernten kann. Die Haltung, Pflege und Ernte der Mutterpflanzen findet unter strengsten Hygienebedingungen statt, um eine Infektion der Pflanzen mit gefährlichen Virus- oder Bakterienkrankheiten zu vermeiden.
In der Saison werden dann wöchentlich Stecklinge geerntet und zu Hunderten in kleine Plastiktüten verpackt. Diese werden dann per Luftfracht möglichst schnell zu den Jungpflanzenbetrieben, z.B. in Deutschland, verschickt.

Bewurzelung und Fertigkulturen: drei Monate
Die unbewurzelten Stecklinge aus Übersee landen in den spezialisierten Jungpflanzenbetrieben und werden dort sofort in kleine Erdbällchen gesteckt. Unter exakt kontrollierter Temperatur und Luftfeuchtigkeit werden die Stecklinge zur Bewurzelung gebracht. Haben sie Wurzeln gebildet, sind die kleinen Pflänzchen versandfähig und können zum Gärtner zur Fertigkultur geschickt werden.
Beim Gärtner/Kultivateur werden diese Jungpflanzen meist einzeln in gärtnerische Kulturerde getopft und unter definierten Kulturbedingungen fertig kultiviert. Öffnen sich die ersten Blüten, ist die Verkaufsreife erreicht.

Vermarktung und Lieferung an Garten-Center: ein Tag
Die Töpfe werden auf Versandkarren geladen, zum Großmarkt gefahren, versteigert oder direkt an Garten-Center, Floristik-Fachgeschäfte, Baumärkte und Supermärkte verteilt.

Verkauf: ein Tag
Nun tritt die Petunie ihre letze Reise auf den Balkon oder die Terasse des Endverbrauchers an. Der Gartenfreund erhält eine ansprechende, gesunde und hochwertige Pflanze und wird aufgrund der vielen Vorleistungen, die erbracht worden sind, garantiert den ganzen Sommer lang viel Freude daran haben.

Zur Geschichte
Die ersten Petunienarten wurden um 1750 in Südamerika entdeckt. Es folgte eine intensive Züchtungsarbeit in Deutschland und England, und Petunien aus Saatgut wurden als Beetpflanzen in aller Welt populär. Der Nachteil: Die sämlingsvermehrten Petunien bauten im Laufe des Sommers ab, waren klebrig, anfällig für Blattläuse, verkahlten und galten im Handel als „Billigprodukt“.

Erst vor gut 30 Jahren, wie der Zufall es wollte, wurde eine stecklingsvermehrte Super-Petunie entwickelt. Ein großer japanischer Getränke-Konzern startete ein Weinbauprojekt in Südbrasilien. Das Projekt missglückte, aber der zuständige Weinbauingenieur entdeckte dort ein Ackerunkraut: eine kriechende, zähe, kleinblütige Petunien-Wildart mit magentafarbenen Blüten. Er wurde nach Japan zurückgerufen, nahm aber Samen von der Wildpetunie mit. In Japan keimten die Samenkörner und wuchsen zu schönen Pflanzen heran, die er als Hobbygärtner mit „normalen“ Saatpetunien kreuzte.

Aus dieser Kreuzung entstanden einige Petuniensämlinge mit unglaublichen Wuchs- und Blüheigenschaften. Sie wurden international vermarket und als begehrtes Premium-Produkt weltweit zu einer der erfolgreichsten Neueinführungen im Beet- und Balkongeschäft – nicht zuletzt aufgrund der großen Leistungsfähigkeit beim Verbraucher. Es folgten unzählige weitere Sorten von verschiedenen Züchtern. Noch heute geht die Züchtung unentwegt weiter.

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Bernhard Simon – 
Dienstleistungen für die “Grüne Branche”

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